Die Große Transformation

  • Theresa Demski

Wohnen und Arbeiten, Reisen, Shoppen und Essen: Unser Lebensstil, nicht nur der des Einzelnen, sondern der ganzen Gesellschaft, hat enorme Auswirkungen und gefährdet inzwischen die gesamte Schöpfung, Tiere und Pflanzen, aber auch das Leben der Menschen in ganz anderen Teilen unserer Erde. Unter dem Stichwort „Große Transformation“ diskutieren Politik und Wissenschaft die Möglichkeiten eines notwendigen umfassenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Wandels, um entscheidend gegensteuern zu können. Für Präses Dr. Thorsten Latzel ist das auch eine wichtige Herausforderung für Christinnen und Christen und für die Evangelische Kirche im Rheinland. Er sieht für die Evangelische Kirche einen eigenen biblisch-theologisch motivierten Ansatz für das Engagement beim Transformationsprozess.

Heizungen in Gemeindehäusern werden mit Holzpellets angefeuert. Kirchliche Jugendgruppen veranstalten Upcycling-Workshops, die eindrucksvoll beweisen, wie aus alten Dingen neue Schmuckstücke werden. Geldanlagen unterliegen einem Nachhaltigkeitsfilter. Und nachhaltiges Einkaufen wird Gemeinden und Kirchenkreisen so leicht gemacht wie nie zuvor. „Viele Ehren- und Hauptamtliche engagieren sich seit Jahren für die Bewahrung der Schöpfung und das Thema der Nachhaltigkeit“, erinnert Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Viele gute Initiativen seien entstanden. Immer wieder werde das Thema auf Synoden besprochen und bedacht.

Auf einem virtuellen Informationsabend zur „Großen Transformation“ im April 2021 fällt dann das entscheidende Aber: Veränderungen im Kleinen, so wichtig sie sind, reichen nicht. „Wir müssen das große Ganze denken“, sagt der Präses. Das ist der Kern der „Großen Transformation“, den der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2001 formuliert hat. Jetzt geht es um Grundsätzliches. Die Einsicht dahinter lautet: Produktion, Konsummuster und Lebensstile sollen so verändert werden, dass die globalen Treibhausemissionen auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen können.

Präses Dr. Thorsten Latzel

Kirchlicher Beitrag zur großen Transformation

Präses Dr. Latzel führt damit konsequent den Ansatz weiter, der auf der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland bereits 2014 beschlossen wurde. Damals lief seit drei Jahren die innerkirchliche Auseinandersetzung mit dem Grundsatzpapier „Wirtschaften für das Leben“ und der Ökumenische Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“ war gerade gestartet. Hier engagieren sich mehr als 30 Kirchen, kirchlichen Werke, Dienste und Organisation in einem Netzwerk, um die „Große Transformation“ als kulturelle Umkehr in den kirchlichen Alltag zu übersetzen und einen Wandel anzustoßen.

„Gott ins Spiel bringen“

Auf welche Weise kann Kirche den Prozess einer großen Transformation zugunsten von Schöpfung und Gerechtigkeit unterstützen? Welche Rolle kann Kirche als „Change-Agent“ einnehmen? „Wir brauchen angesichts des Klimawandels eine Hoffnungsbotschaft“, betonte der Präses. „Was wir als Kirche zu der Frage einer gesellschaftlichen Veränderung beitragen können, ist, dass wir Gott in Spiel bringen, dass wir von unserem Glauben sprechen, von dem, was uns im Leben wichtig ist.“

Eine veränderte, wertschätzende Beziehung zur Natur, ein neues Selbstverständnis könne nur aus einer guten Botschaft erwachsen, die etwas Befreiendes habe: „Restriktionen, das wissen wir aus anderen Bereichen, führen nicht sonderlich weit.“

Zwar würden auch im kirchlichen Bereich Leitlinien gebraucht, so Präses Latzel. Vorschriften wie etwa, auf kirchlichen Veranstaltungen auf Fleischgerichte zu verzichten, lehne er jedoch ab. Normen würden eher zu Gegenreaktionen führen. Auch Jesus habe Menschen nicht durch Anordnungen dazu bewegt, sich anders auszurichten, sondern vielmehr, indem er sie freigesetzt habe.

Der Wandel braucht Unterbrechung

Damit der Wandel im Alltag Raum greifen kann, sei eine transformative Spiritualität hilfreich, die den Menschen frei mache, sein Leben zu verändern, so Präses Latzel. Es brauche dafür Unterbrechungen des Alltags, um Gottes Geist im Leben Raum zu geben. „Dazu gehört, vor Gott stille zu sein und mich darauf zu besinnen, was ich im Angesicht der Ewigkeit mit meinem Tag und mit mir selbst anfange und die Begegnung mit Gott zuzulassen.“ Dafür müssten keine neuen Formate, keine neuen Atemtechniken gefunden werden. „Wir haben doch den Sonntag“, erinnert er, „wir sollten das, was wir haben, ernst nehmen: Dann können wir den Sonntag für ein kollektives Innehalten, Aushalten und Händefalten nutzen.“ Die Unterbrechung ermögliche es auch, biblische Texte auf sich wirken zu lassen – zum Bewahrungsauftrag zu finden und zu einer Dimension der Dankbarkeit. „Wir kennen die Probleme“, betont der Präses, „jetzt geht es darum, mit einer neuen Haltung da raus zu kommen.“

 

INFO

Im Auftrag der Landessynode 2014 ist die Broschüre „Den Wandel gestalten – Zum Leben umkehren. Die Große Transformation und transformative Spiritualität“ entstanden, die Sie unten zum Download finden.

Den Wandel gestalten – Zum Leben umkehren. Die Große Transformation und transformative Spiritualität